Es gibt Menschen, die glauben, das Bikeweekend würde die Fahrer verändern. Es enthält Stoff für ein Beziehungsdrama: sich finden, sich trennen, sich wiederfinden. Es handelt von einem opportunistischen Wechselspiel aus Miteinander und Gegeneinander. Alle zusammen? Oder nur einer allein. Einige glauben an die Prägung vom Reüssieren und Scheitern, von sportlichem Glanz und Elend. Doch was die Fahrer wirklich verändern kann, sind die kollegialen Momente während dem Anlass.
Travers, Creux du Van, Neuchâtel, Fleurier, la Brévine, Couvet, Travers: zwei Tage, zwei Etappen, 104.7 Kilometer und 2273 Höhenmeter, einmal quer durchs Val de Travers. Das ist das Bikeweekend 2016.
Roman wirkte wie eine optische Täuschung, als er vor neun Jahren am Bikeweekend 2007 in der Innerschweiz debütierte, und als solche wurde er auch behandelt. Er war jung, 18-jährig, und klein, 1 Meter 70, und obwohl man ihn sah, sah man ihn irgendwie nicht. Acht Jahre lang blieb er in der Berichterstattung mehrheitlich ein Mann für die Nebensätze und wenn doch einmal ein Hauptsatz über ihn geschrieben wurde, war es ein Hauptsatz unter vielen, und bis auf diesen handelte keiner von ihm. So war es auch dieses Mal: Roman war dabei. Aber er vermochte bei den wichtigen Entscheidungen keine Rolle zu spielen. Weder im Anstieg oberhalb vons Buttes, noch später in der Abfahrt nach Noiraigue. Am ehesten noch war er während dem ersten Zwischenhalt im Restaurant "La Robella" zu vernehmen.
Ruedi wählte dieses Jahr eine ähnliche Taktik. Man dachte, er fühle sich unwohl. Er hielt den Kopf teilweise so niedrig, dass er fast bis zum Lenker reichte. Man hätte denken können, er sei ein Niemand, und hätte man Ruedi nicht in den Jahren zuvor erlebt – man hätte es tatsächlich so gedacht. Aber Ruedi ist so: Er gibt einem die ganze Show. Und dann schlägt er zu. Wie am ersten Tag, als er sich in einem Single Trail einen Vorsprung herausfuhr. Wie am zweiten Tag, als er einige Bergsprints gewann.
Es kam, wies kommen musste: Wo Anwärter für den Tagessieg fehlen, profitiert jener, der sich diesen zum Ziel erklärt hat. Er heisst Fabian. Und er fuhr ins Ziel so einsam, als gäbe es keine ernsthaften Gegner. Am ersten Tag. Sowie später auch am zweiten Tag.
Wir übernachteten in Neuchâtel. Als wir nach dem Nachtessen am Samstag ins Hotel zurückkehrten und die hoteleigene Bar bereits geschlossen hatte, eröffnete sie Felix sogleich selber wieder. Felix ist ein Schelm. Und er ist geprägt von einem fast unbeschreiblichen Stolz auf alles, was Heimat ist: die schöne Landschaft, die Natur, das einfache und doch unbeschwerte Leben in den Bergen. Während alle Fahrer zu Beginn von Felix‘s Verhalten beeindruckt waren, nahmen bei einigen mit fortlaufender Zeit die Zweifel am Sinn des Unterfangens zu und gingen, so gegen 01.30 Uhr, zu Bett. Die Regeneration – am Bikeweekend die Königsdisziplin – war damit entscheidend erschwert.
Wer hätte gedacht, dass dies auch Märk‘s Plan gewesen war? Dieses Nicht-erkannt-Werden, dieses Unter-dem-Radar-Bleiben, dieses Vielleicht-sogar-unterschätzt-Werden. Das Bikeweekend ist mitunter der wichtigste Anlass im Jahr, und wer es gewinnt oder wer wenigstens einen der Bergsprints für sich entscheiden kann, bekommt eine grosse Zukunft prophezeit. In der Woche vor dem Rennen analysieren sich die Fahrer gegenseitig und probieren zu erkennen, wer Anwärter für die Punkte ist. Märk‘s Talent wird stets gefürchtet und er selber weiss, dass er dieses besitzt. Aber er scheint nicht zu wissen, dass Talent allein für den Erfolg nicht reicht, erst recht nicht im Radsport, diesem Einzelsport, der eigentlich ein Mannschaftssport ist. Erfolg erfordert Teamarbeit und Absprache, und Erfolg erfordert Gerissenheit. Und so fehlten ihm zum Sieg auf einem Berg stets einige Meter; die anderen Fahrer hatten sich gegen ihn verbündet und arbeiteten gegen ihn. Sie teilten sich die Bergpreise untereinander auf und Märk ging dauernd leer aus. Bis zu diesem einen Mal, als er als Profiteur von der Grosszügigkeit der anderen profitierte, die sich nach dem Weg umschauten. Märk reagierte, nützte seine Chance und genoss den Moment des Triumphs. Es blieb bei diesem einen Sieg. Fertig, mehr nicht. Kaum war Märk‘s Erfolg da, war er wieder weg, und die Aufmerksamkeit wandte sich von ihm ab.
Die Fahrer fürs Bergklassement sind genannt, jene für das Sturzklassement noch nicht.
Im Vorfeld wurde Renaud von einigen Fahrern hoch gelobt. Er sei fit und habe die mentale Stärke, ein unbequemer Gegner zu sein. Renaud tat, wie ihm geheissen, und zeigte sich oft an der Spitze. Und wer aufmerksam war, merkte, er fuhr oft an der Grenze. Renaud kann klettern, einverstanden – aber sonst? Kann er auch unbeschadet die Abfahrten bewältigen? Kann er mit Rückschlägen umgehen? Er kann es nicht. Zumindest nicht das erste. Renaud stürzte wegen einem Fahrfehler. Einen Moment lang sah er wie der Hauptdarsteller einer Tragödie aus. Endzeitstimmung statt Glücksrausch. Er haderte mit dem Schicksal, mit dem Nachteil seiner Spur, doch irgendwann, als er wieder etwas bei Sinnen war, musste er sich eingestehen: Er war vor allem nicht gut genug gewesen. Das Stück, das er aufführte, war eben doch keine Tragödie, es war eine Komödie, ein Drama mit erheiterndem Handlungsablauf, glücklichem Ende. Platz eins im Sturzklassement.
Bedu, dieser Mann mit der sagenhaften Vergangenheit, weiss viel Spannendes aus vergangenen Bikeweekends zu berichten. Oft spielt er dabei in seinen Anekdoten gleich selber die Hauptrolle. Mag sein, dass gute Radfahrer heutzutage auch von der nahen Vergangenheit leben, sogar aus bereits lange zurückliegenden Momenten, und manchmal werden Radfahrer sogar nur aus Erzählungen gross. Aber das wichtigste Kriterium ist die Leistung in der Gegenwart. Wer dadurch nicht zu überzeugen vermag, braucht andere Stärken. Und weil Bedu stets für einen spektakulären Sturz ohne Folgen sorgt, hoffen alle, er möge diesen Termin im Jahreskalender noch lange wahrnehmen. Platz zwei im Sturzklassement.
Aber vielleicht ist es eben auch nur Glück, wenn man das Bikeweekend sturzfrei übersteht. Dann nämlich, wenn man gar nicht fahren kann, weil einem das Bike nach einem Zwischenhalt in einem Gasthaus gestohlen wurde. So wie jenes von Josi. Der Dieb brachte das Bike nach rund 15 Minuten ins Gasthaus nach Couvet zurück. Er hat es sich ausgeliehen, weil das Benzin im Tank seines Autos ausgegangen war und er sich mit einer PET-Flasche und Josi‘s Bike neues besorgen musste.
Am Sonntagabend trennten sich die Wege der Fahrer des Bikeweekends wieder für ein Jahr. Was hat er mit ihnen gemacht, dieser zweitägige Anlass? Sind sie Freunde? Immer noch? Wieder? Trotz allem? Einer sagt: «Acht Fahrer, ein gemeinsames Wochenende.» Ein anderer sagt: «Wie die Fahrer Freude am Biken zeigen, das erfreue ihn. Aber mehr als dieses gemeinsame Interesse am Biken verbindet uns schon.» Vor allem verbindet sie das grösstmögliche Ziel ihres Wochenendes: Freundschaft und Geselligkeit. Immer noch. Wieder. Trotz allem. Bis heute. Ob Erster oder Zweiter – jeder der acht weiss, wie unwichtig die Rangfolge ist. Was in Erinnerung bleibt vom Bikeweekend 2016: Schönes, Unschönes und ein bisschen Karneval.
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